Neue Forschung

Die Arbeit an den Ausstellungsinhalten haben wir Ende Juli 2020 abgeschlossen, unsere Forschungen gehen aber weiter. Hier werden wir Sie bis zur geplanten Publikation Die Ortsbefestigungen von Ober-Ingelheim und Großwinternheim (in der Reihe Ingelheims historisches Erbe, Bd. 1) informieren, was wir Neues über die Ortsbefestigungen herausgefunden haben.

28. April 2021 - Aktuelle Forschungen am Malakoffturm in Ober-Ingelheim

Die erste detaillierte Dokumentation des Malakoffturms und seine wissenschaftliche Analyse im Rahmen der Ausstellungsvorbereitung „Ortsbefestigung 3.0. Innovative Bauforschung in Ingelheim“ haben zahlreiche neue Erkenntnisse erbracht und viele neue Fragen aufgeworfen. Es zeigte sich einmal wieder, dass moderne Bauaufnahmemethoden zusammen mit dem Betrachten des Befundes vor Ort und der lebendigen Diskussion der Forschenden zu überraschenden Entdeckungen führen kann.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass der dreigeschossige Malakoffturm, so wie er sich heute präsentiert, das Produkt wahrscheinlich mehrerer Umbauten ist. Der zinnenbewehrte Bogen, über den heute der Zugang zum Turm im ersten Geschoss vom Wehrgang der Burgkirchenumwehrung aus erfolgt, ist eine Hinzufügung des 19. Jahrhunderts. Gerade untersucht wird, ob Fugen im Turm und die unterschiedliche Ausformung der Schießscharten Hinweise auf eine nachträgliche Aufstockung oder einen Umbau im Rahmen einer militärtechnischen Modernisierung des Turmes im Mittelalter sind. Diese Diskussion wurde außerdem durch die historische Abbildung Ober-Ingelheims von M. Merian (siehe Abb. 1a – links) angeregt. In der 1645 entstandenen Ansicht besaß der Turm oberhalb der heute erhaltenen Plattform einen im Durchmesser schmaleren Turmaufsatz. Der erhaltene Baubestand lässt die Rekonstruktion eines solchen sogenannten Butterfassturmes zu. Diese sind für den spätmittelalterlichen Stadtmauer- und Burgenbau in der Region typisch (siehe Abb. 1b -rechts).

Abb. 1a. Ober-Ingelheim, Stich von Matthäus Merian, 1645, Ausschnitt. Merian zeichnete den Malakoffturm mit einem schmaleren Turmaufsatz (Butterfassturm) und Überdachungen für Hauptturm und Aufsatz.

(Merian 1645. Museum bei der Kaiserpfalz, Ingelheim; Foto A. Haag)

Abb. 1b. Ein Beispiel für einen erhaltenen Butterfassturm: Oberwesel (RLP), Ochsenturm (Mitte 14. Jh., Spitzdach Ende 15. Jh.).

(Foto: Benjamin May 2021)

Vergleiche zu anderen Befestigungen zeigen auch, dass diese ohnehin hohen Türme auf den hochgelegenen Stellen des Mauerringes angeordnet waren. Zudem standen sie häufig am Hang eines Berges, der der Ort überragte. Die Türme ermöglichten somit weite Sichtbeziehungen und damit die Überwachung des Ortes und seiner Umgebung. Der Malakoffturm gehörte in Ober-Ingelheim zu einem Überwachungssystem aus drei  hohen Türmen der Burgkirchenumwehrung (Abb. 2a -links), zu dem auch der Turm der Burgkirche selbst gehörte (Abb. 2b – rechts).

Abb. 2a. Ober-Ingelheim, Burgkirchenumwehrung mit Malakoffturm, Kirchturm und dem Nordturm, den drei höchsten Türmen der Befestigung.

(Stadt Ingelheim, Benjamin May 2021)

Abb. 2b: Burgkirche, Tür zum Dachraum der Nordkapelle sowie der auf ähnlicher Höhe liegende Wehrgang. So gelangte man - wohl über einen hölzerne Brücke - vom Wehrgang bis zum Kirchturm.

(Stadt Ingelheim, Benjamin May)

Die abenteuerliche Bestandsaufnahme des nur über das Angstloch zu erreichenden Erdgeschosses erbrachte eine neue Entdeckung zur Bautechnik des Turmes. Im Gegensatz zu den sonst in den mittelalterlichen Türmen von Ober-Ingelheim üblichen Kragsteingewölben, wird die Decke hier durch ein vierteiliges, nahezu gegossenes Kreuzgratgewölbe gebildet. Es wurde über einer hölzernen Schalung errichtet. Noch heute lässt sich diese Bauweise an den Abdrücken der Schalungsbretter und den Balkenlöchern des stützenden Baugerüstes nachvollziehen. Durch naturwissenschaftliche Untersuchungen soll nun die Bauzeit dieses Gewölbes ermittelt werden.

Die Ausrichtung der Scharten macht deutlich, dass vom Malakoffturm aus der schmale Winkel zwischen der Mauer der Burgkirchenumwehrung und der Ringmauer der Ortsbefestigung verteidigt wurde. Der historische Katasterplan von 1848 zeigt an dieser strategisch bedeutenden Stelle einen heute nicht mehr vorhanden breiten Graben und einen Halbschalenturm der Ringmauer, der ehemals direkt an den Fuß des Malakoffturms anschloss (Abb. 3a-c).

Abb. 3a-c: Katasterpläne von 1848, 1901 und Ergänzungsblatt um 1928?, Ausschnitt. 1848 und 1901 werden der an den Malakoffturm anschließende, heute nicht mehr vorhandene Halbschalenturm und der Wehrgraben noch dargestellt. Nach dem Bau der Turnhalle 1928 sind sie nicht mehr verzeichnet. (Forschungsstelle Ingelheim/ Stadtarchiv Ingelheim Rep. II/418, ii/418b)

Durch weitere Forschungen sollen die aufgeworfenen Fragen zu den Bauphasen, der Bauweise, der Rekonstruktion und der Funktion des Turms innerhalb der Ortsbefestigung Schritt für Schritt weiter beantwortet werden.

Judith Ley 28.04.2021

20. April 2021 -Geheime Orte in Ober-Ingelheim

Im Zuge des Forschungsprojektes „Ortsbefestigungen Ingelheim“ haben wir uns seit November 2020 intensiv mit der Erforschung des Malakoffturmes auseinandergesetzt. Transparent wird dies in der Freischaltung des Rundganges MalakoffVR innerhalb der Ausstellung „Ortsbefestigung 3.0“ am 30.04.20201. Hier bekommen Sie die Gelegenheit, den wohlbekannten Malakoffturm in Ober-Ingelheim virtuell zu begehen – entweder mit Ihrer VR-Brille oder mit ihrem Computer.

Die Basis dieses Rundgangs bietet dabei die dreidimensionale Dokumentation des Malakoffturmes, die von Studierenden der TU Darmstadt 2018 und 2019 erstellt wurden. Ohne Zweifel wird ein Highlight dieses Rundgangs sein, einen Ort virtuell besuchen zu können, den selbst die allermeisten Ingelheimer:innen noch nie gesehen haben dürften: Das Erdgeschoss des Turmes! Zwar war das Erdgeschoss für Besucher:innen des Turmes immer präsent – durch ein Gitter konnte für Schwindelfreie der Blick tief nach unten in den über 6 Meter tiefen Raum gelenkt werden – doch auch für langjährige Forscher:innen wie uns war der Zutritt bisher verwehrt.

Durch unsere neuesten Forschungen konnte dies aber ermöglicht werden: Am Montag, dem 15. März bestieg Piotr Noszczynski erstmals seit vielen Jahrzehnten den Raum, um darin zu forschen. Ermöglicht wurde dies durch die tatkräftige Unterstützung des Bauhofes Ingelheim, die im Vorfeld die Sicherheit dieses Unterfangens gewährleistet hatten – neben der Standsicherheit der Leiter und dem sicheren Festgurten mussten zuvor vor allem eventuell schädliche Gasansammlungen am Boden des Raumes ausgeschlossen werden. Von der Begehung erhofften wir uns die Komplettierung der dreidimensionalen Dokumentation – was toll gelang – sowie die Bestätigung unserer im Vorfeld aufgestellten Vermutungen ob der architektonischen Beschaffenheiten des Raumes. Doch was wir dort sahen, übertraf alle unsere Erwartungen… Dazu bald mehr. (CB)

18. November 2020 - Bauhistorische und archäologische Untersuchungen

Der Vortrag zu den beiden Ortsbefestigungen in Ober-Ingelheim und Groß-Winternheim wurde live am 18.11. um 18 Uhr gehalten. Er ist ein Teil des Begleitprogramms zur virtuellen Ausstellung auf www.ortsbefestigung3punkt0.de zum gleichen Thema. In dem fast 2-stündigen Gespräch stellen die Bauforscher*innen und Archäolog*innen des Kooperationsprojektes erste Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit vor. Wir wünschen spannende und interessante Unterhaltung auf architekturgeschichtlichen Spuren zu den beiden Ortschaften! 

_Bernhard, Gerda, Die beiden Ingelheim und ihre Umgebung, Rhein-Mainische Forschungen, Heft 15, Frankfurt am Main 1936.
_Biller, Thomas, Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen. Ein Handbuch, 2 Bände, Darmstadt 2016.
_Geißler, Hartmut, Die Ortsbefestigungen von Ober-Ingelheim und Großwinternheim in Schrift- und Bildquellen, 2020 (unpubliziert).
_Heege, Andreas, Steinzeug in der Schweiz (14.–20. Jh.). Ein Überblick über die Funde im Kanton Bern und den Stand der Forschung zu deutschem, französischem und englischem Steinzeug in der Schweiz, Bern 2009.
_Horn, Hauke, Die Baugeschichte der Burgkirche in Ingelheim, in: INSITU 2018/2, S. 195–210.
_Hundhausen, Jutta, Uffhubtor – Ohrenbrücker Tor – Stadtmauer in Ober-Ingelheim, Kreis Mainz-Bingen. Bauhistorische Situation und Bauaufnahme, 2009/2010 (unpubliziert).
_Hundhausen, Jutta, Die Ober-Ingelheimer Ortsbefestigung, in: Berkessel, Hans u. a. (Hrsg.), Ingelheim am Rhein. Geschichte der Stadt von den Anfängen bis in die Gegenwart, Oppenheim am Rhein 2019, S. 315–325.
_Krienke, Dieter, Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Kreis Mainz-Bingen, Bd. 18.1, Worms 2007, S. 342–358 bzw. 389–428.
_Petry, Ludwig, Der Ingelheimer Grund vom Ausgang des 14. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Authenrieth, Johanne (Hrsg.), Ingelheim am Rhein. Forschungen und Studien zur Geschichte Ingelheims, Stuttgart 1964, S. 201 ff.
_Rauch, Christian, Kunstdenkmäler des Kreises Bingen, Darmstadt 1934.
_Roemer, Marion, Formenkosmos Siegburger Steinzeug. Die Sammlung im Hetjens-Museum. In: Sally Schöne, Hetjens Museum (Hrsg.), Mainz am Rhein 2014, S. 231, Abb. 547.
_Weiland, Peter, Alte Fotos von Ingelheim 1865–1939. Die Sammlung Peter Weiland, Ingelheim 2000 (2. Auflage).

Neben Abbildungen, die im Rahmen der Grabungen Stadt Ingelheim/Forschungsstelle Kaiserpfalz und des Kooperationsprojektes Ortsbefestigungen entstanden sind, wurden verwendet:

 (in der Reihenfolge des Erscheinens)

_Karte Ingelheimer Grund: Hist. Pfalzatlas, Kartenband I, Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Speyer.
_„Ortsplan um 1800“: Rauch 1934, Abb. 387.
_Katasterplan Ober-Ingelheim 1848: Stadtarchiv Ingelheim am Rhein, Rep. II 418, Flur 1, Abt. a.
_Steinkegelturm, Unterer Zwerchweg, Historisches Foto: Fotoarchiv Peter Weiland Ingelheim.
_Steinkegelturm, Neuweg, Dachspitze: Dieter Wolf, Ingelheim.
_Steinkegelturm, Bahnhofstraße, Scharten: Stadt Ingelheim, Benjamin May.
_Steinkegelturm, Neuweg, Rekonstruktion: Fabian Mackeldey.
_Stadtkataster 2020, Stadtverwaltung Ingelheim, Radosław Myszka/Archaiographos.
_Mustöpfe aus grauem, kobaltblau bemaltem Steinzeug aus der Schweiz: Heege 2009, S. 9, Abb. 2.
_Trichterbecherkrug mit Wellenfuß und geglätteter Wandung: Roemer 2014, Abb. 547.
_Stiegelgässer Tor, Historisches Foto: Rauch 1934, Abb. 390.
_Burgkirche, Turm und Chor: Stadt Ingelheim, Benjamin May.
_Leitwehr und Burgkirche: Fotoarchiv Peter Weiland Ingelheim.
_Burgkirchenumwehrung von Nordosten, Foto um 1900: Krienke 2007, S. 393, Abb. 982.
_Burgkirche, Grundriss: Rauch 1934, S. 464, Abb. 579.
_Burgkirche, Zeichnung von Eugen Peipers (1805-1885): Petry 1964, Abb. 19. 
_Topographische Karte, TK 25000, Blatt 6014 Ingelheim am Rhein, Landesvermessungsamt Rheinland-Pfalz 1968, Ausgabe 1991.
_Katasterplan Großwinternheim 1843: Stadtarchiv Ingelheim am Rhein, Rep. II 415b, Flur 1, Abt. b-d.

© OpenStreetMap-Mitwirkende [2020]
© GeoBasis-DE / LVermGeoRP [2019], dl-de/by-2-0, www.lvermgeo.rlp.de [2020]

18. Oktober 2020 - noch eine Entdeckung

Die TU Darmstadt und die Stadtverwaltung Ingelheim gestalten die Ausstellung

Oktober/November 2020

Online-Vortrag über die neuen Forschungsergebnisse an den Ortsbefestigungen durch die beteiligten Wissenschaftler*innen im Live-stream, Termin wird noch bekannt gegeben, siehe Neue Forschungen 

Frühjahr bis Herbst 2021

Öffentliche und buchbare Führungen speziell zur Ausstellung Ortsbefestigungen 3.0 sind mit den Ingelheimer Gästeführern in Planung. Die Termine werden noch bekannt gegeben. 

Dezember 2021

Veröffentlichung des 1. Band der Reihe Ingelheims historisches Erbe mit dem Titel Die Ortsbefestigungen von Ober-Ingelheim und Großwinternheim.

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